Mit Stroh und Hanf zu klimafreundlichen Renovationen
Energetische Geb?udesanierungen sind entscheidend, damit die Schweiz ihre Klimaziele erreicht. ETH-Forschende zeigen nun, welche Renovationsstrategien die Treibhausgas-Emissionen besonders wirksam reduzieren: fossile Heizungen ersetzen und bio-basierte Baustoffe wie Stroh und Hanf einsetzen.
- Vorlesen
- Anzahl der Kommentare
In Kürze
- Ein Team von ETH- und Forschenden anderer Hochschulen best?tigt klar, dass W?rmed?mmung und Heizungsersatz zentrale Elemente von energetische Sanierungen sind.
- Sie entwickelten dazu ein Modell, das mithilfe von KI Treibhausgas-Emissionen und Kosten berechnet und auch Ungewissheiten wie z.B. zukünftige Klima- und Preisentwicklungen berücksichtigt.
- Mit bio-basierten Baustoffen wie Stroh oder Hanf lassen sich bei der D?mmung deutlich mehr Treibhausgas-Emmissionen einsparen im Vergleich zu heute.
Die Schweiz z?hlt knapp 1,8 Mio. Wohngeb?ude und eine weitere Million Nichtwohnbauten. Auf diesen Geb?udepark entfallen rund 40 Prozent des landesweiten Endenergiebedarfs. Die Geb?ude bieten einen wichtigen Hebel auf dem Weg zu einer klimaneutralen Schweiz: Deutlich über die H?lfte aller Geb?ude wird noch immer mit fossilen Energietr?gern wie ?l oder Gas beheizt. Und der überwiegende Teil der Geb?ude stammt aus einer Zeit ohne griffige Effizienzstandards. Viele von ihnen bedürfen dringend einer energetischen Sanierung.
Geb?udelebenszyklus im Blick
Geb?udesanierungen sind herk?mmlicherweise auf den Energieverbrauch hin orientiert und umfassen zwei Hauptmassnahmen: Durch D?mmung der Geb?udehülle wird der Energieverbrauch gesenkt, durch den Ersatz fossiler Heizungen die Nutzung erneuerbarer Energien gef?rdert. Im Zeichen des Klimawandels stellt sich vermehrt die Frage, wie Renovationen ausgestaltet werden müssen, damit ein Geb?ude über seinem gesamten Lebenszyklus hinweg m?glichst wenig Treibhausgase emittiert.
Diese Frage wird seit Jahren am Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich erforscht. Eine aktuelle Studie von Guillaume Habert, Professor für Nachhaltiges Bauen, und Bruno Sudret, Professor für Risiko, Sicherheit und Quantifizierung der Ungewissheiten, liefert dazu neue Antworten. Die Untersuchung entstand in Zusammenarbeit mit der Westschweizer Fachhochschule (Yverdon) und der Technischen Hochschule Chalmers (G?teborg). Sie wurde am 13. M?rz 2024 in der Wissenschaftszeitschrift Nature Communications ver?ffentlicht.
Heizungsersatz und W?rmed?mmung
Im Zentrum der Untersuchung standen sechs Geb?ude, die zwischen 1911 und 1988 errichtet wurden und bisher weitgehend unrenoviert sind. Die Bauten wurden so ausgew?hlt, dass sie den gesamten Schweizer Geb?udepark repr?sentieren. Für diese Immobilien errechneten die Forscherinnen und Forscher, wie viel Treibhausgas-Emissionen durch unterschiedliche Sanierungsmassnahmen verursacht werden, und dies bezogen auf einen 60-j?hrigen Geb?udelebenszyklus (ab dem Zeitpunkt der Sanierung). Untersucht wurde zum einen der Ersatz der bisherigen Heizung durch eine Gasheizung, eine Holzpellet-Heizung oder eine W?rmepumpe, zum anderen der Einbau einer W?rmed?mmung mit unterschiedlich dicken Schichten aus konventionellen D?mmstoffen (wie EPS, Glaswolle, Steinwolle, Zellulosefasern) beziehungsweise D?mmstoffen aus schnell wachsenden Pflanzen (wie Stroh und Hanf).
Der Einbezug der Baustoffe ist bedeutsam, weil diese im Herstellungsprozess sehr unterschiedlich viel Energie ben?tigen und damit eine mehr oder weniger hohe Treibhausgas-Belastung aufweisen. ?Die CO2-Emissionen bei der Herstellung herk?mmlicher D?mmstoffe sind teilweise sehr hoch, und durch ihren Einsatz bei Geb?udesanierungen wird der positive Effekt, der durch die Senkung des Energieverbrauchs erzielt wird, teilweise wieder zunichte gemacht?, sagt Guillaume Habert. Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen verursachen deutlich weniger Treibhausgase. Sie haben überdies den Vorteil, dass sie w?hrend ihres Wachstums CO2 aus der Atmosph?re binden und dieses dann langfristig im Geb?ude gespeichert wird.
87 Prozent weniger Treibhausgase
Die Berechnungen der Treibhausgas-Emissionen w?hrend des 60-j?hrigen Geb?udelebenszyklus’ zeigen: Um den Treibhausgas-Ausstoss wirksam und m?glichst kostengünstig zu senken, steht der Ersatz von ?l- und Gasheizungen an erster Stelle. Sehr wichtig ist überdies der Einsatz von bio-basierten Baustoffen zur W?rmed?mmung. ?Unsere Ergebnisse zeigen, dass wir im Schweizer Geb?udepark haupts?chlich durch Umstellung auf W?rmepumpen oder Holzpellets, aber auch durch die Nutzung von bio-basierten Baustoffen zum Beispiel in Form von Strohballen, Hanfmatten und Hanfbeton bei den von uns getroffenen Annahmen bis zu 87 Prozent der Treibhausgas-Emissionen einsparen k?nnten?, fasst Alina Galimshina ein Hauptergebnis der Studie zusammen. Diese beruht massgeblich auf der Doktorarbeit, die sie an der ETH Zürich verfasst hat.
Zur Berechnung der Treibhausgas-Emissionen und der Investitions-, Betriebs- und Unterhalts-Kosten über den Lebenszyklus hinweg setzte die Forscherin eine innovative Methode ein. Die Wahl der richtigen Sanierungsstrategie h?ngt n?mlich massgeblich von künftigen Entwicklungen ab, etwa dem klimabedingten Anstieg der Umgebungstemperaturen, aber auch von den Energiepreisen, dem ?CO2-Gehalt? des Netzstroms, dem Nutzerverhalten und weiteren Faktoren. Die Untersuchung hat diese Ungewissheiten berücksichtigt durch Einbezug geeigneter mathematischer Werkzeuge.
Rechenmodelle zur Bewertung der Lebenszykluskriterien erfordern viel Computerzeit. Um den Rechenaufwand zu verringern, wurde ein Ersatzmodell mit Hilfe von Techniken des maschinellen Lernens entwickelt. ?Dank dieses Ersatzmodells konnten wir eine umfassende Optimierung der verschiedenen Parameter der m?glichen Sanierungsoptionen durchführen – unter Berücksichtigung der Unsicherheiten bei Energiepreisen, CO2-Gehalt des Netzstroms und Umgebungstemperaturen?, sagt Bruno Sudret. Erm?glicht wurde diese Optimierung durch das Software-Tool externe Seite UQLab, das seine Gruppe entwickelt und seit 2015 zur Quantifizierung von Unsicherheiten in Vorhersagemodellen verschiedener Disziplinen eingesetzt hat. Für dieses Projekt bauten es die Forschenden weiter aus.
Ergebnisse praktisch umsetzen
Die Forderung nach dem Ersatz fossiler Heizungen ist heute in aller Munde, die Nutzung pflanzlicher Baustoffe wie Stroh und Hanf hingegen steht erst am Anfang. Der Bausektor begegnet diesen Materialien noch mit Skepsis, weil sie mitunter erhebliche gr?ssere D?mmst?rken ben?tigen und Fragen bezüglich Feuchtigkeit und Brandschutz aufwerfen. Diskutiert werden auch die hohen Kosten von Renovationen mit bio-basierten D?mmstoffen, wobei die Kritiker bisweilen die Einsparungen bei den Betriebskosten ausblenden.
Vor diesem Hintergrund hat sich das Forscherteam das Ziel gesetzt, die Erkenntnisse der eigenen Arbeit bei Planern, Architekten und weiteren Baufachleuten bekannt zu machen. Das geschieht im Rahmen eines laufenden Projekts, das aus dem Agora-Programm des Schweizerischen Nationalfonds alimentiert wird. Hierzu z?hlen Diskussionsveranstaltungen und eine Umfrage bei mit Expertinnen und Experten aus der Baubranche. Parallel wird eine Webseite aufgebaut, die ein Software-Tool zur Verfügung stellt, mit dem sich Sanierungsstrategien hinsichtlich ihrer Klimafreundlichkeit vergleichen lassen.
Serie ?Künstliche Intelligenz für die Schweiz?
Künstliche Intelligenz (KI) durchdringt s?mtliche Bereiche unseres Lebens, so auch in der Forschung. Methoden des maschinellen Lernens kommen in Projekten aller Disziplinen zum Einsatz. Die ETH Zürich betreibt aber auch Grundlagenforschung in diesem Bereich. Gemeinsam mit der EPFL hat sie die ?Swiss AI?-Initiative lanciert. Sie hat zum Ziel, die Schweiz als weltweit führenden Standort für die Entwicklung und Nutzung einer transparenten und vertrauenswürdigen KI zu positionieren. In dieser Serie zeigen wir anhand konkreter Beispiele, wie die ETH in gemeinsamen Projekten mit der Industrie, mit NGOs oder Beh?rden KI für die Schweiz nutzbar macht und so Mehrwert für unser Land schafft.
Literaturhinweis
Galimshina A, Moustapha M, Hollberg A, Lasvaux S, Sudret B, Habert G: Strategies for robust renovation of residential buildings in Switzerland. Nature Communications 15, Article number: 2227 (2024). DOI: externe Seite 10.1038/s41467-024-46305-9