Wir sollten die verstärkte Sommererwärmung nicht unterschätzen
Trotz nass-grauem Juni – die Sommer in der Schweiz erw?rmen sich st?rker als erwartet. Die verst?rkte Sommerhitze bringt Gefahren, auf die wir nicht gut vorbereitet sind, schreibt Dominik Schumacher.
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Wo bleibt der Sommer? Diese Frage wurde mir in den vergangenen Wochen ?fter gestellt. Tats?chlich war der Juni, wie zuvor bereits der Mai, wechselhaft, nass und sonnenarm. Zu kalt war er jedoch nicht – im Gegenteil: Laut MeteoSchweiz war die Tagesmitteltemperatur im Juni immer noch 0.4 Grad Celsius w?rmer als der Durchschnitt der aktuellen Referenzperiode von 1991 bis 2020.1
Der Juni 2024 fühlte sich trotzdem kühl an, unter anderem, weil er bew?lkungsbedingt tagsüber eher k?lter, nachts dafür w?rmer war, und weil er damit gerade zu den jüngsten Jahren mit rekordhohen Junitemperaturen in Kontrast steht. Es w?re jedoch vermessen, vom kühlen Juni gleich auf den ganzen Sommer zu schliessen. Als Klimaforscher, der sich mit Extremereignissen in einer immer w?rmeren Welt befasst, w?re ich überrascht, wenn dieser Sommer in der Schweiz nicht doch noch heiss würde.
Ein Blick auf die Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte zeigt: Die Sommer in Europa und der Schweiz erw?rmen sich schneller als jede andere Region der Welt. Fast die gesamte beobachtete Sommererw?rmung von 2,3 Grad Celsius seit dem sp?ten 19. Jahrhundert findet ab den 80er Jahren bis heute statt.2 Nun deuten neue Erkenntnisse darauf hin, dass sich Europa und die Schweiz noch st?rker erw?rmen als bisher erwartet.
In einer kürzlich ver?ffentlichten Studie gemeinsam mit ETH-Professorin Sonia Seneviratne und Forschenden am Institut für Atmosph?re und Klima verglichen wir die Sommererw?rmung in Europa von 1980 bis 2022 mit den Prognosen regionaler Klimamodelle und stellten fest, dass die meisten Modelle die Beobachtungen nicht vollst?ndig abbilden.3,4 Das heisst, die simulierte Erw?rmung ist geringer als beobachtet – die Modelle sind zu optimistisch und hinken der tats?chlichen Erw?rmung etwa 15 Jahre hinterher. Der Grund dafür hat mit der verbesserten Luftqualit?t über Westeuropa zu tun.
Saubere Luft macht w?rmer
Globale Klimamodelle verwenden Gitterzellen von rund 100 km L?nge und stellen die Schweiz nur mit einer Handvoll Pixel dar – die Alpen, die das Wetter und Klima der Schweiz entscheidend beeinflussen, sind kaum erkennbar.
Regionale Klimamodelle berechnen das atmosph?rische Geschehen viel h?her aufgel?st und verfeinern globale Klimainformationen mit detaillierten regionalen Simulationen. Sie sind gerade für kleinere L?nder mit komplexer Topografie unverzichtbar, um Anpassungs- und Klimaschutz-Massnahmen zu planen. Regionale Modelle bilden denn auch die Basis für die nationalen Klimadienste mehrerer europ?ischer L?nder einschliesslich der Schweiz.
Die meisten dieser Modelle berücksichtigen allerdings nicht, dass die menschgemachte Luftverschmutzung durch Aerosole in Europa seit dem H?chststand um 1980 rückl?ufig ist.3,7
Aerosole sind feinste Schwebeteilchen in der Luft, die etwa beim Verbrennen fossiler Brennstoffe entstehen. Sie d?mpfen die von Treibhausgasen verursachte Erw?rmung, indem sie kurzwelliges Sonnenlicht abschw?chen. Dank Luftreinhaltemassnahmen sinken die Aerosolemissionen seit Jahren, ihr kühlender Effekt schwindet. Die zunehmend saubere Luft maskiert die Erw?rmung immer weniger.5,6
Diskrepanz zwischen Modell und Beobachtung
Obwohl globale Klimamodelle die ver?nderten Aerosole berücksichtigen, wurden bei regionalen Klimamodellen meistens der Einfachheit halber konstante Konzentrationen angenommen. Somit wurde die Erw?rmung in der Schweiz und umliegenden L?ndern bisher untersch?tzt, und damit vielleicht auch der Anpassungsbedarf.
?Die n?chste Hitzewelle kommt bestimmt, und künftige Ereignisse k?nnten bisher Erlebtes in den Schatten stellen.?Dominik Schumacher
Regionale Modelle, welche die abnehmenden Aerosole vernachl?ssigen, untertreffen heute die tats?chliche sommerliche Erw?rmung im Schnitt um mehr als 0,5 Grad Celsius. Unter einem starken Treibhausgas-Szenario k?nnte diese Diskrepanz in Westeuropa gegen Ende Jahrhundert um ein weiteres Grad zunehmen. Bei Hitzewellen über Westeuropa wird die Intensivierung sogar noch st?rker untersch?tzt: Von heute bis 2100 dürften es 1 bis 1,5 Grad Celsius sein.
Wie warm ist entscheidend
Fragt sich: 1,5 Grad w?rmer als erwartet – spielt das bei einer Hitzewelle überhaupt eine Rolle? Tats?chlich ist bei extremer Hitze jedes Zehntelgrad relevant: Denn die Hitzesterblichkeit nimmt mit der Temperatur exponentiell zu, weshalb bereits geringfügig h?here Temperaturen uns k?rperlich und gesellschaftlich ungleich st?rker belasten.8
Und was ist nun mit dem Sommer? Auch wenn heisses Sommerwetter 2024 in der Schweiz bislang fehlte – die n?chste Hitzewelle kommt bestimmt, und künftige Ereignisse k?nnten bisher Erlebtes in den Schatten stellen.9 Auf extreme Hitze oder kombinierte Hitze-Dürre sind wir aber unzureichend vorbereitet. Wir sollten die verst?rkte Sommererw?rmung nicht untersch?tzen.
1 Meteo-Schweiz Blog externe Seite Das wechselhafte und nasse Wetter widerlegt nicht die Klimaerw?rmung
2 MeteoSchweiz externe Seite Entwicklung von Temperatur und Niederschl?gen
3 Schumacher, D. L., Singh, J., Hauser, M., Fischer, E. M., Wild, M., and Seneviratne, S.I. (2024): Exacerbated summer European warming not captured by climate models neglecting long-term aerosol changes. Commun. Earth Environ., 5, externe Seite DOI: 10.1038/s43247-024-01332-8
4 USYS-News: Regionale Klimamodelle für Europa waren bisher zu optimistisch
5 Wild, M., Gilgen, H., Roesch, A., Ohmura, A., et al. (2005): From Dimming to Brightening: Decadal Changes in Solar Radiation at Earth's Surface. Science, 308, 847–850, DOI: externe Seite 10.1126/science.1103215
6 Wild, M., Wacker, S., Yang, S., Sanchez-Lorenzo, A. (2021): Evidence for Clear-Sky Dimming and Brightening in Central Europe. Geophys. Res. Lett., 48, e2020GL092216, externe Seite DOI: 10.1029/2020GL092216C
7 Gutierrez, C., Somot, S., Nabat, P., Mallet, M., et al. (2020): Future evolution of surface solar radiation and photovoltaic potential in Europe: investigating the role of aerosols. Env. Res. Lett., 15, 034035, DOI: externe Seite 10.1088/1748-9326/ab6666
8 Vicedo-Cabrera, A.M., Scovronick, N., Sera, F. et al. The burden of heat-related mortality attributable to recent human-induced climate change. Nat. Clim. Chang. 11, 492–500 (2021). DOI: externe Seite 10.1038/s41558-021-01058-x
9 Der Standard: externe Seite Hohe Wahrscheinlichkeit für noch extremere Hitzewellen in Europa