Eine Stadt… ganz aus Abfallprodukten gebaut

?M?glicherweise wird die Stadt der Zukunft gar nicht mehr zwischen Versorgung und Entsorgung unterscheiden (¡­)? - Mitchell Joachim

W?hrend meines einj?hrigen Aufenthalts in Afrika wurden mir die Augen f¨¹r viele Zusammenh?nge im Leben ge?ffnet. Nirgendwo mehr als dort trifft der Satz ?Des einen Abfall ist des anderen Schatzkiste? zu. Was ich dort arglos wegwarf, landete bald in neuen H?nden und wurde als Neuheit wertgesch?tzt. So stellte ich eines Tages fest, dass einige meiner Nachbarinnen meine entsorgten Schuhe trugen und diese in Gr?sse und Form einfach ihren F¨¹ssen angepasst hatten. Dosen und Schachteln, die ich entsorgt hatte, weil sie zuviel Platz wegnahmen, wurden gereinigt und als Lunch-Box f¨¹r die Kinder verwendet. Ein vision?rer und kreativer Umgang mit Abfallprodukten, die von den Einheimischen einfach recycled und in Gr?sse und Funktion an ihre Bed¨¹rfnisse angepasst wurden, war f¨¹r mich der ausschlaggebende Impuls, Abfall fortan als Ressource und nicht mehr als Problem zu betrachten. Und es wurde mir klar, dass man angesichts der Abfallberge, die t?glich auf den M¨¹llhalden landen, schon bei sich zu Hause dringend nach alternativen L?sungen suchen sollte.

Mir wurde bewusst, dass man Abfall als wichtige, erneuerbare Baustoff-Ressource nutzen kann, wenn man die Gegebenheiten und M?glichkeiten einer Stadt kennt. Addis Abeba ist als Hauptstadt von ?thiopien eine der wachstumsst?rksten Metropolen der Welt. Ihre Urbanisierungsrate betr?gt rund 4 Prozent: Im Jahr 2050 k?nnten schon 12 Millionen Menschen dort leben ¨C ein rasantes Wachstum angesichts der heutigen 5 Millionen. Das hat Folgen: Die heutzutage schon ausgepr?gte Wohnungsnot wird sich dramatisch zuspitzen, Angebot und Nachfrage werden immer mehr auseinanderklaffen. Ganz wie die meisten afrikanischen L?nder ist ?thiopien vom Import vieler Grundmaterialien wie z.B. Zement und Stahl abh?ngig. Diese werden zumeist aus Indien oder China importiert. Sie sind mit hohen Z?llen belastet, was den finanziellen ?berlebenskampf und die L?hmung vieler Bauvorhaben im Land nur noch verschlimmert ¨C ein Teufelskreis.

So liegt es auf der Hand, nach lokalen L?sungen zu suchen: Eine der logischsten Massnahmen ist die alternative Suche nach einheimischen, leicht zug?nglichen Ressourcen als Ersatz f¨¹r teure Importg¨¹ter. So verf¨¹gt ?thiopien beispielsweise ¨¹ber Unmengen an Stroh, das als Nebenprodukt der Landwirtschaft anf?llt und zumeist auf den Feldern verbrannt wird. Im April 2012 startete ein Forschungsprojekt mit dem Ziel, das Potential von Stroh als zuk¨¹nftiges Struktur-Baumaterial zu untersuchen. So konstruierte die ETH Z¨¹rich in Zusammenarbeit mit dem ?thiopischen Institut f¨¹r Architektur, Bauwesen und St?dteentwicklung und der Bauhaus Universit?t in Deutschland den Prototypen einer doppelst?ckigen Wohneinheit. Sie besteht aus modularen Stroh-Panels und beweist, dass Stroh ein alternatives Tr?germaterial zu Holz sein kann, was insbesondere angesichts der dramatischen Abholzung in ?thiopien von grosser Bedeutung ist. Bisher wurde Stroh als wertloses Material betrachtet, doch gerade in ?thiopien ist es ¨¹berall verf¨¹gbar und kann von der Bauindustrie jederzeit aufbereitet und verwendet werden. Es braucht lediglich das n?tige Know-how daf¨¹r.

Forschungsprojekte wie dieses sind nicht nur f¨¹r Entwicklungsl?nder bestimmt, ganz im Gegenteil. Diese Forschungsresultate k?nnen f¨¹r viele dichtbesiedelte Gebiete der Welt relevant sein. Als ich von Afrika nach Singapur kam, merkte ich jedoch, dass es in hochentwickelten Metropolen eine andere H¨¹rde zu ¨¹berwinden gilt: Abfall wird dort verschm?ht, was die angemessene Ber¨¹cksichtigung von Recycling-Baumaterialien im lokalen Bauwesen verhindert. Ich beginne hier zun?chst mit dem weniger wissenschaftlichen Argument: Singapur ist bekannt daf¨¹r, ganz eigene, strenge Regeln und Vorschriften zu haben, z.B. extrem hohe Bussen f¨¹r achtlos weggeworfene Abf?lle (Littering) oder f¨¹r Aktivit?ten, welche die ?ffentliche Ordnung st?ren. So wird Abfall dort einfach entsorgt, ganz nach dem Motto ?Aus den Augen, aus dem Sinn?...

In Singapur strebt man f¨¹r alle Lebensbereiche die fortschrittlichsten High-Tech-L?sungen an. Dies schliesst auch das Abfallmanagement mit ein, das als eines der modernsten der Welt gilt. Als Beispiel hierf¨¹r erw?hne ich Semakau Island, eine k¨¹nstliche Insel, die aus einem riesigen Ascheberg von verbrannten Abf?llen entstanden ist. Bei Nacht und Nebel werden ganze Schiffsladungen mit der Asche von Singapurs Abf?llen auf das Meer hinaus transportiert und dort aufgeschichtet ¨C eine neue, zuk¨¹nftige Attraktion f¨¹r ?kotouristen. Es gibt jedoch Alternativen zur Abfallverbrennung, zumal der materielle Wert der Abf?lle bei der Verbrennung ja ganz und gar verloren geht: Betrachtet man Abfall als Ressource und nicht l?nger als Problem, k?nnen daraus neue, innovative Baustoffe gewonnen werden, die gerade in wachstumsstarken Metropolen wie Singapur dringend f¨¹r die Bauindustrie ben?tigt werden.

Das Seminar ?Constructing Waste? (?Abfall f¨¹r die Bauindustrie?), das ich im Herbst 2012 f¨¹r Doktorierende am FCL leitete, war als erster Ann?herungsschritt auf akademischer Ebene konzipiert. Um Abfall zuk¨¹nftig wirklich als Baustoff einsetzen zu k?nnen, braucht es einen mentalen Switch. Wie am Seminar n?her beleuchtet, d¨¹rfen wir keine lineare Betrachtungsweise des Produktlebenszyklus' mehr haben, bei dem Abfall am Ende der Kette einfach entsorgt wird, sondern m¨¹ssen dieses Ende als neuen Anfang eines zweiten Lebenszyklus' betrachten, bei dem Konsumg¨¹ter in Baug¨¹ter umgewandelt werden.

Kurze Zeit sp?ter bot sich schon Gelegenheit, diese Erkenntnisse f¨¹r ein Grossprojekt zu nutzen: Die ETH Z¨¹rich wird als Ausstellerin an der ?IDEAS CITY? 2015 in New York teilnehmen, die vom New Museum veranstaltet wird. Mein Team ist f¨¹r den Bau und die Gestaltung des ETH-Pavillons verantwortlich und hat daf¨¹r ein Konzept entwickelt, das Fragen zur Elastizit?t und Nachhaltigkeit der verwendeten Baustoffe in den Fokus r¨¹ckt. Der finale Pavillon-Entwurf mit der Bezeichnung ?Airless?basiert auf entsorgten PET-Flaschen, welche die Vakuum-Struktur des Pavillons als verst?rkendes Tr?germaterial st¨¹tzen. PET-Flaschen, die in New York in jedem Abfallbeh?lter liegen, werden zu diesem Zweck in vorgefertigte, bogenf?rmige R?hren aus Kunststoff-Folie gesteckt. Danach werden die R?hren vakuumiert und es entsteht eine leichtgewichtige, extrem kosteng¨¹nstige und ?usserst effiziente Tr?gerstruktur, die f¨¹r den Bau grossr?umiger, dreidimensionaler Konstruktionen verwendet werden kann. Bei diesem Verfahren werden die PET-Flaschen ¨¹brigens nicht ver?ndert, so dass sie nach dem New Yorker Event wieder dem Recycling zugef¨¹hrt werden k?nnen. Mit Initiativen wie dieser m?chten wir aufzeigen, dass die ETH Z¨¹rich ganz vorne mit dabei ist, wenn es um eine zukunftsorientierte Perspektive und Forschungsaktivit?t im Bereich Abfallrecycling f¨¹r die Bauindustrie geht.