Die Zukunft der Arbeit: 3/2, 2/3, 0/4?
Immer ?fters wird darüber diskutiert, wie produktiv die Arbeit im Homeoffice sei. Für Gudela Grote der falsche Ansatz, weil er mehr über unser Menschenbild aussagt als hilft zu verstehen, wie wir besser arbeiten.?
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Die Erfahrungen des Jahres 2020 haben vielen Besch?ftigten und Unternehmen gezeigt, dass die Flexibilit?t des Arbeitsorts (und der Arbeitszeit) für beide Seiten Nutzen stiften kann. Die Stolpersteine dabei waren schon vorher bekannt – Grenzziehung zwischen Arbeit und Privatleben, Aufrechterhalten von informellen Kontakten, Führung und Teamzusammenhalt –, aber in den Jahren der Covid-19-Pandemie haben wir unser Bestes gegeben, sie aus dem Weg zu r?umen. Ohne diese ?ussere Notwendigkeit sind sie nun alle wieder da, die Stolpersteine. Aber wir wissen nun auch, dass sie überwunden werden k?nnen – dieses Wissen sollten wir nutzen, um Arbeit für alle menschengerechter zu gestalten.
Hybrid arbeiten auch in Zukunft
Ein kürzlich von Stanford-?konomen verbreiteter Bericht sieht hybrides Arbeiten als unsere Zukunft.1 Diese Aussage erstaunt nicht. Sie deckt sich mit jahrzehntelanger Forschung in der Arbeits- und Organisationspsychologie. Interessant am Bericht ist vor allem die Begründung der Forschenden. Wie es sich für ?konomen geh?rt, ist Kern der Argumentation die Produktivit?t. Sie haben untersucht, wie produktiv die verschiedenen Arbeitsformen sind und kommen zum Schluss, dass wenn Menschen ausschliesslich von zuhause arbeiten, die Produktivit?t um 10 bis 20 Prozent sinkt, w?hrend bei hybridem Arbeiten die Produktivit?t nicht leidet oder leicht steigen kann.
Wenn man sich etwas genauer ansieht, wo die Forschenden aus Stanford eine sinkende Produktivit?t festgestellt haben, dann handelt es sich zum Beispiel um zuhause arbeitende "data entry workers" – sprich, um Menschen, die Tag ein Tag aus Daten erfassen, zum Beispiel indem sie Zahlen aus Listen in eine Datenbank eintragen. Das wirft gleich mehrere Fragen auf, weil es einerseits wohl fast keine eint?nigere Arbeit gibt, die man im Homeoffice verrichten kann, und es andererseits auch v?llig offen ist, ob die h?uslichen Bedingungen produktives Arbeit zugelassen haben.
Alles Ansichtssache?
Für die Darstellung der Vorteile hybriden Arbeitens wird eine Studie mit Besch?ftigten in Callcenter erw?hnt, die weniger Pausen machten und seltener krank waren. Aber wer Produktivit?t so definiert, erfasst m?glicherweise vor allem erh?hten Arbeitsdruck und Pr?sentismus. Die Beispiele zeigen, wie schwierig es ist, ein gutes Mass für Produktivit?t zu w?hlen, und dass jedes Mass betrachtet ohne Kontext nur eine geringe Aussagekraft hat. Diese Unsch?rfen im Verst?ndnis von Produktivit?t führen dazu, dass sich jeder und jede die Argumente heraussuchen kann, die zur eigenen ?berzeugung und subjektiven Einsch?tzung passen.
Bei diesen ?berzeugungen sollten Unternehmen ansetzen, um die Chancen neuer Arbeitsformen – und auch die Chancen neuer Technologien – sinnvoll zu nutzen. Es geht um Annahmen darüber, was Menschen motiviert zu arbeiten und ihre Arbeit auch m?glichst gut zu machen. Im erw?hnten Bericht wird eine weitere Studie zitiert, in der Mitarbeitende der Meinung waren, dass Arbeiten von zuhause die Produktivit?t steigert, und Vorgesetzte annahmen, dass die Produktivit?t sinkt. Die beiden Aussagen haben eigentlich wenig mit Produktivit?t, sondern vielmehr mit Menschenbildern zu tun. Ich bin mir sicher: Wenn die Vorgesetzten ausschliesslich ihre eigene Arbeit zuhause beurteilen müssten, würden sie ebenfalls angegeben, dass sie produktiver sind – vorausgesetzt, dass sie selbst gerne von zuhause arbeiten.
Verschiedene Perspektiven verstehen wichtiger als 2/3 oder 3/2
Wir sehen – die Diskussion darüber, ob 2 Tage Homeoffice und 3 im Büro oder umgekehrt 3/2 produktiver sind, ist letztlich wenig ergiebig. Eine ernsthafte und offene Diskussion über die neuen Arbeitsformen würde stattdessen erm?glichen, Menschenbilder sichtbar, angreifbar und revidierbar zu machen. Wenn das gelingt, kann konstruktiv darüber verhandelt werden, welche Arbeitsform für wen und für welche T?tigkeiten die passende ist.
?Es ist schwierig, ein gutes Mass für Produktivit?t zu w?hlen und jedes Mass hat ohne Kontext nur eine geringe Aussagekraft.?Gudela Grote
Gründe, warum es schwerf?llt, wieder physisch ins Unternehmen zu kommen, oder warum ein Gefühl von Kontrollverlust entsteht, wenn Mitarbeitende vor allem zuhause arbeiten, sollten wir offenlegen und hinterfragen k?nnen. Solche Diskussionen würden helfen, M?ngel bei den bestehenden Arbeitsbedingungen zu identifizieren und eine bessere Arbeitsgestaltung zu initiieren. Wenn ich mich zuhause ?verstecke?, weil ich den Kontakt zu meinem Team oder meinen Vorgesetzten vermeiden will, oder weil meine Arbeit so uninteressant ist, dass ich jede M?glichkeit nutze, sie nicht machen zu müssen, dann ist das keine Frage von 2/3 oder 3/2, sondern zeigt die Notwenigkeit, Arbeitsinhalte und -beziehungen zu verbessern.
... oder in Zukunft Viertagewoche?
Die Diskussion darum, wie wir in Zukunft arbeiten, wird nicht mehr verschwinden, und sie wirft weitere Fragen auf, denen wir uns über kurz oder lang stellen müssen. Wieviel müssen die Menschen angesichts neuer technologischer und organisationaler M?glichkeiten noch arbeiten? Die Viertagewoche wird in verschiedenen Varianten – von 0/4 bis 4/0 – bereits erprobt und ?ffnet den Blick auf die grundlegende Frage, welche Rollen Mensch und Technologie zukünftig spielen werden. Wenn Roboter unsere Arbeit in der Fabrik und auf der Bank übern?hmen, dann br?uchten wir vielleicht keine Roboter, um unsere Alten zu pflegen. Auch das k?nnte unsere Arbeit sinnvoller und menschenwürdiger machen.