Plastikrecycling ist kein Patentrezept
Recycling ist das Rezept für nachhaltige Ressourcennutzung, kann aber bei Kunststoffen zu erheblichen Nebenwirkungen führen, sagt Helene Wiesinger – und illustriert das Dilemma des Plastikrecyclings an Schweizer Kunststoffb?den.
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Angesichts von Klimakrise und globaler Plastikverschmutzung ist die Wiederverwertung von Materialien für viele das Gebot der Stunde. Recycling kann Resourcen schonen, Abf?lle vermeiden und CO2-Emissionen senken und ist ein wichtiger Pfeiler für die Kreislaufwirtschaft. Doch w?hrend sich manche Materialien relativ einfach wiederverwerten lassen, herrscht beim Recycling von Kunststoffen ein komplexer Zielkonflikt.
So w?re es gerade bei den erd?lbasierten Kunststoffen besonders wichtig, sie im Kreislauf zu führen, anstatt nach einmaligem Gebrauch zu verbrennen (thermisch zu verwerten) oder in der Umwelt zu entsorgen. Unseren Plastikmül – oder genauer: gemischte Haushaltskunststoffe – k?nnen wir zwar bereits in zahlreichen Schweizer Gemeinden in einem der vielen Kunststoffsammels?cke sammeln, um sie maschinell zu trennen und zu recyclen.1
Allerdings st?sst die Wiederverwertung rasch an Grenzen. Denn mechanisches Recycling ist vor allem dann ?kologisch sinnvoll, wenn das recycelte Material m?glichst Prim?rmaterial ersetzt und so die CO2-Emissionen bei der Produktion und Verbrennung vermeidet oder verhindert, dass Plastik in B?den und Gew?sser gelangt.2 Dies erfordert jedoch hochwertiges Rezyklat – und genau hier liegt das Problem.
Chemikalien k?nnen das Recycling st?ren
Dazu muss man wissen, dass Kunststoffe enorm vielf?ltig sind. Sie bestehen aus Polymerketten, die sich aus wiederholenden Monomeren zusammensetzen, und enthalten je nach Verwendungszweck viele zus?tzliche Chemikalien, etwa Stabilisatoren, Weichmacher oder Flammschutzmittel, die für die gewünschten Eigenschaften sorgen. Für einen Bericht des UN-Umweltprogramms identifizierten wir bis zu 13’000 verwendete Chemikalien.3 Viele dieser Stoffe sind für Mensch und Umwelt potenziell sch?dlich. Trotzdem sind sie teilweise nur unzureichend reguliert (siehe ETH-News).
Die enorme Anzahl an Kunststoffen und Zus?tzen vermindert oft die Qualit?t des Rezyklats, erschwert oder verunm?glicht das Recycling in der Praxis . So hilft es wenig, wenn wir fleissig Plastikabf?lle sammeln, aber viele Kunststoffprodukte nicht aus dem hergestellten Rezyklat, sondern nur mit Neumaterial hergestellt werden k?nnen.
Gravierender noch: Gerade langlebige Kunststoffprodukte enthalten oft Zus?tze, von denen wir mittlerweile wissen, dass sie sch?dlich für Mensch und Umwelt sind. Erfolgt ihr Recycling g?nzlich unkontrolliert, kann es dazu führen, dass regulierte Chemikalien l?nger im Umlauf bleiben und nicht ausgemustert werden.
Die Kehrseite unserer bunten Kunststoffwelt
Anders als etwa bei Lebensmitteln müssen Hersteller von Plastik ihre Rezepturen und Inhaltsstoffe kaum deklarieren. So ist bei den meisten Kunsstoffprodukten nicht bekannt, was sie enthalten und ob sie sicher recykliert werden k?nnen. Hier setzt meine Forschung an. Als Chemikerin versuche ich herauszufinden, wie sich Plastikmaterialien zusammensetzen und ob sie kreislauff?hig sind.
Zum Beispiel haben wir für eine externe Seite Studie unl?ngst gemeinsam mit Kolleg:innen von anderen Schweizer Hochschulen Kunststoffb?den aus Polyvinylchlorid (PVC) untersucht. PVC ist ein wichtiger Kunststoff in der Baubranche, der bereits h?ufig rezykliert wird (Rate: 16 Prozent). Wir haben in der Studie 151 neue PVC-Bodenbel?ge auf Schwermetalle, Weichmacher und andere Chemikalien untersucht. Alle Produkte waren neu und wurden in der Schweiz gekauft.
?Wollen wir künftig mehr Neumaterial ersetzen, braucht es hochwertiges Rezyklat. In der Praxis heisst das eine geringere Kunststoff- und Chemikalienvielfalt, ein einheitlicheres Materialdesign, das Recycling von Anfang an mitdenkt, und transparentere Lieferketten.?Helene Wiesinger
Das Ergebnis hat uns überrascht: In 24 der neuen Bodenbel?ge (16 Prozent) fanden wir bedenkliche und l?ngst verbotene Zusatzstoffe wie Blei als Stabilisator und den Weichmacher DEHP, ein ortho?Phthalat. Sowohl Blei als auch DEHP dürfen aufgrund ihrer Gesundheitsrisiken in der EU und der Schweiz nicht mehr in Neumaterial verwendet werden. Dass sie dennoch in neuen Bel?gen vorkommen, ist unserer Ansicht nach auf verschmutztes PVC-Rezyklat zurückzuführen.4
Weitere 29 Prozent der Bodenbel?ge enthielten andere ortho?Phthalate als Weichmacher, die zwar zugelassen, aber ebenfalls besorgniserregend sind: Phthalate stehen teilweise im Verdacht, hormonwirksam und krebserregend zu sein und werden mit diversen Krankheiten in Verbindung gebracht.
PVC-B?den werden schon l?nger als eine Hauptquelle für gef?hrliche Chemikalien in Innenr?umen vermutet, da sie Weichmacher abgeben. Trotzdem war bislang nur wenig über ihre chemische Zusammensetzung bekannt.
Wie l?sst sich das Dilemma l?sen?
Das Beispiel zeigt exemplarisch, wie Vielfalt und Intransparenz in der Kunststoffchemie zirkul?res Wirtschaften verhindern und potenziell Mensch und Umwelt gef?hrden.
Künftig gilt es Wege zu finden, PVC-B?den nachhaltig zu recyceln, ohne dabei die Gesundheit der Menschen zu gef?hrden. Dies erfordert strengere Kontrollen und Verfahren, um sch?dliche Chemikalien aus recycelten PVC-Produkten zu entfernen. Für Kunststoffe mit Phthalat-Weichmachern gibt es bereits praktische Nachweismethoden. Diese sollten ins Recyclingsystem integriert werden.
Für viele andere Chemikalien fehlen schnelle und einfache Methoden. Hier braucht es eine bessere Analytik von Kunststoffen. Insbesondere muss sich aber auch deren Herstellung ver?ndern.
Wollen wir künftig mehr Neumaterial ersetzen, braucht es hochwertigeres Rezyklat. In der Praxis heisst das vor allem eine geringere Kunststoff- und Chemikalienvielfalt, ein einheitlicheres Materialdesign, das Recycling von Anfang an mitdenkt, und transparentere Lieferketten.
1 Swissrecycle: externe Seite Kunststoff
2 Klotz M, Haupt M, Hellweg S. Limited utilization options for secondary plastics may restrict their circularity. Waste Management (2022) doi: externe Seite 10.1016/j.wasman.2022.01.002
3 UNEP Report: externe Seite Chemicals in Plastics - A Technical Report (2023)
4 Wiesinger H et.al. Legacy and Emerging Plasticizers and Stabilizers in PVC Floorings and Implications for Recycling Environmental Science & Technology (2024) doi: externe Seite 10.1021/acs.est.3c04851