Hellgrüner Wasserstoff tut es auch
Ob nachhaltig hergestellter Wasserstoff wirklich zu 100 Prozent grün sein soll, diskutiert im Moment die Politik. Am Beispiel der Herstellung von Ammoniak und Kunstdünger berechneten Forschende: ?Fast nachhaltig? w?re unter dem Strich besser.
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In Kürze
- Forschende der Hong Kong University of Science and Technology und der ETH Zürich zeigen auf, wie man mit Wasserstoff, der aus nachhaltigem Strom produziert wird, viel fürs Klima tun kann: indem man damit Ammoniak und Kunstdünger herstellt.
- Für einen solchen Umbau der Ammoniakwirtschaft braucht es grosse Fl?chen für Solar- und Windparks.
- Eine grosse Wirkung erzielt man bereits, wenn man überwiegend, aber nicht ausschliesslich auf erneuerbaren Strom setzt. Wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht, k?nnte man sogar auf Strom aus fossilen Quellen zurückgreifen.
Nachhaltig produzierter Wasserstoff kann nicht nur als Energiespeicher oder als Treibstoff für Lastwagen zur Energiewende beitragen. In der Industrie k?nnte er überall dort eingesetzt werden, wo heute schon Wasserstoff ben?tigt wird – zum Beispiel für die Herstellung von Ammoniak.
Weltweit werden j?hrlich 180 Millionen Tonnen davon produziert, vor allem für die Düngemittelindustrie. Der Wasserstoff wird heute aus Erdgas gewonnen, was mit hohen Treibhausgasemissionen und einer Abh?ngigkeit von Erdgas-exportierenden L?ndern verbunden ist. K?me dafür als saubere Alternative grüner Wasserstoff zum Einsatz, würde dies helfen, den Klimazielen n?herzukommen und die Abh?ngigkeit zu verringern. Grüner Wasserstoff wird über einen Prozess, der Elektrolyse genannt wird, mit nachhaltigem Strom produziert.
Forschende der Hong Kong University of Science and Technology (HKUST) und der ETH Zürich haben nun in einer Studie für Europa berechnet, unter welchen Bedingungen es sich lohnt, die Ammoniakproduktion auf grünen oder nahezu grünen Wasserstoff umzustellen.
In Spanien und Norwegen bereits heute wirtschaftlich
Zwei Ergebnisse stechen dabei heraus. Erstens: In einigen europ?ischen L?ndern wie Norwegen, Spanien, Ungarn und Polen w?re es bereits heute wirtschaftlich, Ammoniak aus grünem oder nahezu grünem Wasserstoff herzustellen. In diesen L?ndern kann nachhaltiger Strom aus Sonnen- oder Windenergie besonders kostengünstig hergestellt werden. Gründe dafür sind die vorteilhaften geografischen Bedingungen, staatliche F?rderung oder generell tiefe Stromkosten. Letztere erlauben es, auf billigen Strom aus dem Netz auszuweichen, wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht. Teure Speicherl?sungen für nachhaltigen Strom sind daher dort überflüssig.
Zweitens: Der Strom muss nicht v?llig fossilfrei sein, um grosse positive Effekte für das Klima zu erzielen. Laut der Studie ist es auch sinnvoll, nur mehrheitlich erneuerbaren Strom zu nutzen. In Zeiten ohne Sonne und Wind k?nnte man Strom aus dem Netz beziehen, der teilweise aus fossilen Quellen stammt.
Ein Kilogramm CO2 w?re in Ordnung fürs Klima
Hauptautor der Studie ist Stefano Mingolla. Der Doktorand an der HKUST arbeitete ein halbes Jahr in der Gruppe von Giovanni Sansavini, Professor am Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH Zürich. ?Wenn man nahezu grünen Wasserstoff für die Ammoniakproduktion verwendet, erreicht man damit sehr schnell sehr viel, das ist eine ?low hanging fruit??, erkl?rt Sansavini. ?Dies im Gegensatz zu anderen Anwendungen, wo Wasserstoff einfach ein Energiespeicher ist und es Umwandlungen von einer Energieform in die andere braucht. Bei der Ammoniakproduktion hingegen dient Wasserstoff direkt als Rohstoff, ineffiziente Umwandlungen entfallen.?
?Es ist wichtig, die Ambitionen entsprechend anzupassen.?Giovanni Sansavini
Berechnungen von Mingolla und seinen Kolleg:innen zeigen: Man k?nnte die Treibhausgasemissionen der Ammoniakproduktion gegenüber heute um 95 Prozent senken, wenn man dafür Wasserstoff einsetzt, bei dessen Herstellung nicht mehr als ein Kilogramm CO2 pro Kilogramm Wasserstoff freigesetzt wird. Der dafür ben?tigte Strom müsste deutlich grüner sein als der heutige Strommix in Deutschland, Polen und den Niederlanden. Diese drei L?nder sind die gr?ssten Ammoniakproduzenten in Europa. Zum Vergleich: Ein Kilogramm Wasserstoff, das mit Schweizer Strommix hergestellt wird, würde zu Emissionen von 1,7 Kilogramm CO2 führen. Mit dem heutigen deutschen Strommix w?ren es 18 Kilogramm CO2, mit dem niederl?ndischen 16 Kilogramm und mit dem polnischen 33 Kilogramm.
Wollte man die Wasserstoffproduktion nicht nur zu 95 Prozent, sondern vollst?ndig dekarbonisieren, w?ren die Kosten enorm. Die letzten 5 Prozent der Dekarbonisierung sind die aufwendigsten und teuersten. Sie würden die Kosten nahezu verdoppeln. ?Es ist wichtig, die Ambitionen entsprechend anzupassen?, sagt Sansavini. ?Komplett dekarbonisieren zu wollen, k?nnte kontraproduktiv sein, weil zu hohe Kosten die Energiewende bremsen k?nnten.?
Neue Solar- und Windparks für Wasserstoffproduktion
Sansavini betont jedoch, dass Wasserstoff nicht im grossen Stil mit Strom aus dem Elektrizit?tsnetz hergestellt werden wird. Dafür würden in vielen F?llen weder die lokale Stromproduktion noch die l?nderübergreifenden Netzübertragungskapazit?ten ausreichen.
Vielmehr w?re es denkbar, neue Solar- oder Windparks direkt neben bestehenden Ammoniakproduktionsanlagen zu errichten. Dafür sind jedoch grosse Fl?chen n?tig. Wie die Studie zeigt, ist der Fl?chenbedarf umso geringer, je günstiger die geografischen Bedingungen für die Stromerzeugung aus Sonnen- oder Windenergie in einer Region sind. Südeuropa und Gebiete an der Atlantikküste sind hier im Vorteil. ?Weil der Fl?chenbedarf gross ist, sollte man vor allem an eine kombinierte Landnutzung denken. Zum Beispiel an einen Wind- oder Solarpark, in dem gleichzeitig Landwirtschaft betrieben werden kann?, sagt Sansavini.
Auch wenn grüner Wasserstoff in Norwegen, Spanien, Ungarn und Polen bereits wettbewerbsf?hig ist – im europ?ischen Durchschnitt ist seine Produktion im Vergleich zur Herstellung aus Erdgas deutlich teurer. ?Damit grüner Wasserstoff überall konkurrenzf?hig wird, sind weitere Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie wirtschaftliche Anreize n?tig?, sagt Sansavini. Was genau unter grünem Wasserstoff zu verstehen ist, wird derzeit auch in der EU diskutiert. ?Kosten und Umweltauswirkungen müssen in einem angemessenen Verh?ltnis stehen. Es sollte erlaubt sein, dass in grünem Wasserstoff ein Rest fossiler Energie steckt?, sagt Sansavini. Am Beispiel der Ammoniakherstellung hat das Forschungsteam nun eine Empfehlung für diesen Restanteil errechnet: Bis zu einem Kilogramm CO2-Emissionen pro Kilogramm Wasserstoff w?re akzeptabel und sinnvoll.
Literaturhinweis
Mingolla S, Gabrielli P, Manzotti A, Robson MJ, Rouwenhorst K, Ciucci F, Sansavini G, Klemun MM, Lu Z: Effects of emissions caps on the costs and feasibility of low-carbon hydrogen in the European ammonia industry, Nature Communications, 4. Mai 2024, doi: externe Seite 10.1038/s41467-024-48145-z
Serie ?Energiel?sungen für die Schweiz?
Die Schweiz soll bis 2050 ihre Treibhausgasemissionen auf Netto-??Null reduzieren. Dies erfordert eine fossilfreie Energieversorgung, die auf erneuerbaren und nachhaltigen Energiequellen beruht – eine enorme Herausforderung für das Land. Die ETH Zürich mit seinem Energy Science Center unterstützt die Energiewende in der Schweiz mit konkreten L?sungen aus den Bereichen Forschung, Lehre und Wissenstransfer.
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